Bandporträt: AnnenMayKantereit Von der Straße auf die Bühne

KÖLN · Die Kölner Band mit dem sperrigen Namen AnnenMayKantereit tourt seit gut zwei Jahren mit immensem Erfolg durch Deutschland. Erst jetzt erscheint ihr erstes offizielles Album „Alles nix Konkretes“.

Es ist diese dunkle rauchige Stimme von Sänger Henning May, die einen umhaut. Sie klingt nach Whiskey-Trinker oder Kettenraucher. Oder nach beidem zugleich. In Wirklichkeit aber ist es unverbrauchte Jugend. Der Kölner ist wie der Rest der Band erst Mitte Zwanzig. Groß, schlaksig, eher unauffällig. Wäre da eben nicht diese Stimme. Wie der junge Rio Reiser, nur nicht so rebellisch. „Wie heißt ihr?“ Diese Fragen haben die drei Jungs oft gehört, wenn sie auf der Kölner Uniwiese oder einem anderen Ort Straßenmusik machten – mit Mundharmonika, Gitarre oder Ukulele. Darüber hatten sich Gitarrist Christopher Annen (25), Henning May (24) und Schlagzeuger Severin Kantereit (23) bis dahin keine Gedanken gemacht. Sie waren einfach nur drei Jungs aus Köln Sülz. „Annen. May. Kantereit“, so stellten sie sich der Reihe nach vor.

Wie auch sonst? „Wir wollten uns nichts an den Haaren herbei ziehen, und dann haben wir uns einfach so genannt, wie wir heißen. Man hatte damals natürlich noch nicht auf dem Schirm, was das für Dimensionen annehmen kann. Ich würde aber sagen, ich bin mit dem Namen ziemlich glücklich“, erzählt Schlagzeuger Severin Kantereit bei einem Interview in Köln Ehrenfeld – fünf Jahre und etliche Erfolge später.

„Du hast dich oft gefragt, was mich zerreißt, ich wollte nicht, dass du es weißt. Du warst allein zu Haus, hast mich vermisst und dich gefragt, was du noch für mich bist. Zu Hause – bist immer noch du.“ Diese Zeilen gehören zu dem Song, der AnnenMayKantereit wohl richtig berühmt gemacht hat. In „Oft gefragt“ verarbeitet Sänger Henning May die Beziehung zu seinem Vater – und nicht etwa, wie zu Beginn von vielen vermutet, die zu einem Mädchen.

Die Vermutung liegt aber nicht fern, denn viele ihrer Lieder sind Liebeslieder, über Verlust, über Sehnsucht, über Entfremdung. „Wenn wir uns sehen, ist das immer nur ‘ne Stunde. Um elf willst du schon gehen und holst die letzte Runde. Wohin du gehst, sagst du nicht mehr. Wenn wir uns sehen, fällt mir das Fragen schwer. Ich habe dir nie verziehen, einfach wegzuziehen. Ich habe dich noch nicht mal angeschrien.“

Mit intelligentem Wortwitz, mal sarkastisch, mal trotzig oder tieftraurig, trifft die Band offenbar genau die Themen, die die Generation an der Schwelle zum Erwachsenwerden bewegt – eine Generation, der AnnenMayKantereit selber angehört.

Ihr Musikstil: Ein Mix aus Pop, Rock und Blues – und manchmal ein bisschen Country. Stampfende Rhythmen, Klavierballaden, plötzlicher Einsatz von Mundharmonika oder Trompete. All das lässt sich auf dem Album „Alles nix Konkretes“, das am Freitag dieser Woche erscheinen ist, wiederfinden.

Das Trio, das sich schon aus gemeinsamen Schultagen im bürgerlichen Sülz kennt, lernte bei einer der vielen Straßenauftritte Lars Lötgering kennen, der sich der Band wenig später als Bassist anschloss. 2013 erschien das erste Album „AMK“ in Eigenregie, das die Band im Kölner Kultclub Gebäude 9 vorstellte. „Das war für mich schon echt etwas Krasses, in Köln im Gebäude 9 zu spielen“, erzählt Severin Kantereit rückblickend.

Einige Songs nahmen die Kölner sogar auf der Straße auf. Danach veröffentlichten sie ihre Lieder vor allem auf dem eigenen Youtube-Kanal. Die Videos: Live-Auftritte im Wald, im Park oder im schlichten Proberaum. Eine deutschlandweite Clubtour folgte auf die Veröffentlichung von „Oft gefragt“, im Sommer 2014 spielten die Kölner bereits auf großen Festivals, wie dem „Open Flair“ im hessischen Eschwege oder dem Reeperbahn Festival in Hamburg.

Im August 2014 kam dann Malte Huck (22) aus Hennef als neuer Bassist zur Band und löste damit Lars Lötgering ab, der sich mehr auf sein Studium konzentrieren wollte. „Damals war das alles noch deutlich kleiner als jetzt. Man wusste noch nicht so genau, was daraus wird. Die Jungs wussten das vielleicht, aber ich nicht“, erinnert sich Huck. Carlo Schenk, ein langjähriger Freund und heutiger Manager der Band, hatte den Kontakt hergestellt. „Malte kam schon zum perfekten Zeitpunkt. Vor allem, was bei uns immer sehr wichtig war: Malte hat direkt da rein gepasst, in die Konstellation und auch persönlich“, erzählt Kantereit. Ein Prinzip, das die Band bis heute beherzigt: Es muss persönlich passen. Vom Tontechniker, über den Manager bis zum Fotografen: Alle Crew-Mitglieder sind langjährige Freunde oder Bekannte oder zumindest Freunde von Freunden.

Warum das für die Jungs so wichtig ist? „Sonst kann man nicht so lange auf Tour sein und das auf so einer schönen Basis aufbauen. So weiß man auch, wenn es nicht gut läuft, macht man das mit Leuten, mit denen man sich gut versteht und die voll dahinter stehen“, sagt Kantereit. Diese Crew kam aber erst nach und nach dazu, genauso wie die Fans, die inzwischen dafür sorgen, dass die Konzertkarten innerhalb weniger Stunden vergriffen sind. Hundert Meter lange Schlangen vor ausgewählten Vorverkaufsstellen und enttäuschte Fans veranlassten die Kölner, im Februar vier Zusatzkonzerte anzubieten, die per Los vergeben wurden. Die Nachricht erhielt auf der Facebook-Seite der Band weit über 235 000 „Likes“.

Die Musiker gehen aber nicht nur für ihre Fans auf Tour – sie tun es auch für sich. „Musik muss ja entstehen, und bei uns funktioniert das zum Glück gut, dass Musik auf der Tour entsteht, wir die dann proben und live spielen“, erzählt Kantereit. Die besondere Beziehung zum Live-Spielen hat auch dazu geführt, dass das erste offizielle Album so lange auf sich warten ließ, wie der Schlagzeuger erklärt: „Bei uns ist das ein bisschen anders als bei vielen Bands. Wir machen kein Album, indem wir uns einschließen und Songs schreiben.“ Die Lieder, die auf „Alles nix Konkretes“ zu hören sind, spielt die Band zum Teil seit drei, vier Jahren. „Wenn man das letzte Jahr auf einem Konzert von uns war, kennt man eigentlich alle Lieder auf dem Album. Dann hat man eher während des Konzerts den Moment, dass man Lieder zum ersten Mal hört.“

Als Vorband von Sänger Clueso oder der Berliner Rockband Beatsteaks hat sich AnnenMayKantereit einem großen Publikum präsentiert, noch bevor die eigene große Tour 2015 begann. Während die Kölner ihre EP „Es wird schon irgendwie gehen“ noch erfolgreich via Crowdfunding finanzierten, sind sie inzwischen beim Musikgiganten Universal unter Vertrag, was zum ersten Mal größere Kritik hervorrief. „Von vielen wird das so interpretiert, dass wir uns verbiegen lassen. Aber, wenn man gestärkt mit einem Konzept zum Label geht, wenn man die Leute sogar cool findet und die vielleicht sogar schon länger kennt, wie das bei uns der Fall war, dann ist das eher ein großer starker Partner“, setzt Kantereit der Kritik entgegen. Ihr Album haben die Kölner in den legendären Berliner Hansa Studios aufgenommen, in denen schon David Bowie und Depeche Mode Musikgeschichte schrieben. Produzent Moses Schneider, der auch mit den Beatsteaks oder Tocotronic zusammenarbeitet, war mit den Kölnern bereits für die EP „Es wird schon irgendwie gehen“ im Studio.

AnnenMayKantereit ist derzeit eine Erfolgsgeschichte, die für die Bandmitglieder nicht immer so einfach zu fassen ist: „Dass das alles so gut gegangen ist, mit Leuten, die man einfach geil findet und mit den besten Freunden, ist nicht immer so ganz zu begreifen“, gibt Kantereit zu. An das, was da noch kommen mag, möchte die Band noch gar nicht so recht denken. „Wir wollen gute Konzerte spielen, und du spielst kein gutes Konzert, wenn du gedanklich schon im nächsten Jahr bist“, sagt Huck.

Sie sind fleißig, fokussiert und authentisch – aber politisch? „Politik ist etwas, worüber wir viel reden. Politische Texte zu schreiben, ist aber extrem schwierig. Da setzt du dich nicht einfach hin, schreibst das, ein paar Akkorde und fertig“, sagt Huck. „Das muss man können – und wir müssen zu viert dahinter stehen.“

„Außerdem glaube ich schon, dass wir politisch sind, indem wir bestimmte Werte nach außen tragen“, ergänzt Kantereit. „Du kannst dich immer unter einen Spruch wie ‚Nazis raus‘ stellen, damit machst du nichts falsch. Aber das ist uns viel zu einfach.“

Den einfachen Weg hat die Band von Anfang an nicht gewählt. Die Straße war ihre Schule. Auch, wenn sie inzwischen in gut geheizten Hallen spielen und in hippen Booking-Läden Interviews geben, wirken sie immer noch wie Jungs, die sich glücklich schätzen, das machen zu können, wofür sie am meisten brennen – Musik.

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