Interview mit Star-Architekt Christoph Ingenhoven „Man muss aus dem Rhein ein Programm machen“

DÜSSELDORF · Star-Architekt Christoph Ingenhoven ist kein Mann für die kleinen Lösungen. Wenn er an den Rhein denkt, sieht er vor allem eines: Die große Vision, um das Rheinland auf vielfältige Weise zu vernetzen und dafür zu sorgen, dass die Großregion auch in 50 Jahren noch konkurrenzfähig ist – weltweit.

Der vielbeschäftigte Architekt erscheint anderthalb Stunden zu spät zum Termin. Zeit genug also, um einen Blick auf seine Tausende Bücher umfassende Architektur-Bibliothek und den modernen Teil des Düsseldorfer Hafens auf der benachbarten Halbinsel zu werfen.

Dort ist schon Realität geworden, was Ingenhoven für das gesamte Rheinland vorschwebt: Moderne Stadtplanung unmittelbar am Wasser. Und so wird aus dem avisierten Gespräch über die Rheinpromenaden in Bonn, Köln und Düsseldorf eines über die Zukunft des gesamten Rheinlandes. Die Fragen stellte Moritz Rosenkranz.

Herr Ingenhoven, woran denken Sie, wenn Sie an den Rhein denken?

Christoph Ingenhoven: Bevor wir über den Rhein reden, müssten wir über Nordrhein-Westfalen reden. Es gab seitens der Politik schon öfter die Frage an Menschen wie mich: Wie kann man das Land besser positionieren? In solchen Runden gibt es dann immer ein paar nette und ein paar freche Leute. Ich habe dann gesagt: Solange die Städte Bonn und Duisburg heißen, ist das immer schwierig (lacht). Aber abgesehen von diesen Flapsigkeiten, die ja nicht ganz unernst sind, geht es im Kern darum, ob es einen Namen gibt für das Land, für die Region, für diesen Ballungsraum. Findet man den überhaupt, wenn man allen etwas Nettes tun will? Wahrscheinlich nicht. Allein Düsseldorf als Landeshauptstadt ist ja der kleinste Kompromiss, mit dem sich auch die Westfalen anfreunden können.

Und da kommt der Rhein ins Spiel?

Ingenhoven: Das Ergebnis all dieser Runden war, auch wenn das leider nie irgendeine Folge hatte: Der Rhein ist das bekannteste Markenzeichen Deutschlands, noch mehr als Neandertaler, Neuschwanstein, Beckenbauer oder Lufthansa und Volkswagen. Der Rhein scheint das zu sein, auf das man sich insgesamt verständigen könnte. In jedem Fall natürlich in Nordrhein-Westfalen.

Was folgt aus dieser Erkenntnis?

Ingenhoven: Da muss ich etwas ausholen. Die Landespolitik muss mindestens aus einer Landesperspektive heraus handeln und sich aus dem lokal bedeutsam erscheinenden Kleinkram heraushalten. Zudem muss sie zeitlich in einem Horizont von 30 oder 50 Jahren denken. So wie sich London derzeit schon damit beschäftigt, wo der kommende Großflughafen dieser Weltstadt gebaut wird, obwohl die Stadt über drei Flughäfen verfügt und einer gerade erst modernisiert wurde. Jetzt kann man fragen: Was machen die da eigentlich? Antwort: Die planen für die nächste Generation, die planen ihre Zukunft! Auch wenn sie darum streiten – grundsätzlich machen sie es richtig. Wir hingegen machen es falsch mit zwei Großflughäfen in Köln/Bonn und Düsseldorf, die international nicht mithalten können. Dabei könnte Nordrhein-Westfalen allemal mithalten. Wir sind als Ballungszentrum mindestens so groß wie London oder Los Angeles.

Ihr Vorschlag?

Ingenhoven: Zunächst: Das Braunkohleabbaugebiet Garzweiler liegt genau an der Autobahn und mitten in Nordrhein-Westfalen. Dazu ist es planungs- und ordnungsrechtlich das Gebiet, das man am ehesten mit einem Flughafen bebauen dürfte, es ist ja alles ausgeräumt. Da müsste man zumindest mal eine Studie zu machen.

Ein Flughafen allein bringt's aber noch nicht...

Ingenhoven: Wir müssen groß denken. Was bringt uns auf die Weltkarte zwischen New York und Beijing? Dazu gehört zunächst Größe – das bekommen wir hin. Dazu gehören auch sensationelle Kultureinrichtungen, aber nicht sieben Opernhäuser, sondern vielleicht drei bis vier. Konzentration täte not. Das heißt: Wenn die Bonner ihr Festspielhaus gebaut hätten, dann hätte das nur Sinn gemacht, wenn man da von Düsseldorf aus auch hinkommt. Wenn ich aber anderthalb Stunden mit dem Auto brauche und im Stau stehe, ist das nicht so toll. Oder nehmen wir die Bildung: Wir haben eine der weltbesten Universitäten in Aachen. Die sind wegen ihres Könnens auf der Weltkarte, aber eben nur deswegen, weil sie ansonsten nicht erreichbar sind. Wie will ich einen Spitzenforscher davon überzeugen, aus Kalifornien nach Aachen zu kommen, wenn er dann noch zwei Stunden in die Oper braucht mit dem Auto?

Wie überzeugen Sie denn den Spitzenforscher in Zukunft?

Ingenhoven: In Kalifornien bauen sie gerade das Projekt Hyperloop (ein Verkehrsmittel, in dem man durch Röhren die 560 Kilometer zwischen Los Angeles und San Francisco in 30 Minuten zurücklegen kann – die Red.) – warum machen wir das nicht? Wir haben die Eisenbahn, das Auto und den ICE erfunden. Wo ist der nächste Schritt? Den macht jetzt ein Kalifornier mit deutscher Hilfe. Wenn sie den Menschen hier die Möglichkeit geben würden, von Bonn nach Köln in wenigen Minuten zu fahren und zehn Minuten später in Aachen oder Düsseldorf zu sein, nimmt das jeder in Kauf. Die Stationen bauen wir aber nicht an den Hauptbahnhöfen, sondern mitten in die Uni oder in das beste Wohngebiet, denn da sind die Leute, um die es geht. Sonst hat man den Zeitvorteil durch die Anreise schon wieder verspielt.

Sie wollen also Schwerpunkte setzen, um die Region zu entwickeln...

Ingenhoven: Man kann das Thema Zukunft des Rheins und des Rheinlandes nicht ohne die Verknüpfung der Standorte denken. Wenn man die drei, vier Dinge, die wir haben, nämlich die Innenstädte von Köln und Düsseldorf, die Uni Aachen und vielleicht den Flughafen in der Mitte dieses Dreiecks so miteinander verbindet, ist man schon ganz weit vorne. Dann könnte ich nämlich in Aachen studieren, in Düsseldorf leben und abends problemlos zum Konzert nach Köln fahren. Dann gibt es noch böse Leute, die sagen, man müsste Bonn und Leverkusen nach Köln eingemeinden, Neuss und Mettmann nach Düsseldorf eingemeinden und so weiter, also mal etwas aufräumen. Wenn ich das also alles im Kopf habe, kann ich mich international auch viel besser vernetzen, denn darum geht es doch.

Ein recht elitärer Ansatz, oder?

Ingenhoven: Ja. Man muss auch Leuten wehtun, wenn man etwas Gutes erreichen will. Das Konzept würde uns erlauben, eine internationale Elite von Leuten anzusprechen, die sich hier dauerhaft niederlassen und wohlfühlen würden. Die müssen wir aber überhaupt erst einmal hierhin bekommen. Was glauben Sie, wie schwer es ist für Henkel oder Bayer, einen herausragenden Vorstandsvorsitzenden zu bekommen und zu halten?

Wo bleibt denn der Rhein bei der ganzen Sache?

Ingenhoven: Der Rhein ist das verbindende Band aus Wasser, das durch diese Landschaft fließt. Der Rhein hat moralisch, literarisch und emotional eine große Bedeutung. Wir müssen den Rhein ernst nehmen und uns vor allem mit Wohnen am Rhein beschäftigen (Ingenhoven blickt aus dem Fenster auf den Hafen). Hier in Düsseldorf verhindern wenige Firmen in einem riesigen Hafen, deren volkswirtschaftlicher Nutzen nahe null ist, dass wir aus dem Hafen das schönste Wohngebiet Nordrhein-Westfalens machen. Es gibt viele Stellen am Rhein, wo jeder auf einem Luftfoto direkt sieht, dass dort Stadtentwicklung stattfinden muss. Wir vertrödeln aber unsere Zeit. Man muss an diesem Fluss, dem schönsten, was wir hier haben, wohnen, arbeiten und eine Beziehung dazu aufbauen können. Denn wir bekommen natürlich niemanden nach Köln, Düsseldorf oder Bonn, wenn man ihm nicht erlaubt, gut und interessant zu wohnen. Insofern sind die Kranhäuser in Köln auch nicht der schlechteste Gedanke, auch wenn die Ausführung etwas brutal auf mich wirkt.

Der Rhein als zentrales Element einer Metropolregion?

Ingenhoven: Das ist unser Central Park, unser Strand von Formentera. Ein Beispiel: Ich bin gerne in den Bergen. Dort hat man immer das Gefühl, zu wissen, wo man ist: Man hat den Berg hinter sich, da ist der See, dort ist der Fluss. In einer flachen Stadt ist man weniger orientiert. In einer Stadt am Fluss hingegen schon, weil sich eben alles auf den Fluss bezieht: zehn Minuten bis zum Rhein, andere Rheinseite, die Oper am Rhein et cetera. Der Rhein ist also ein ganz, ganz wichtiges Identifikationselement und damit ein Marketinginstrument nach innen und außen. Wenn ich jemandem sage, ich wohne am Rhein – das interessiert den. Sage ich jemandem in Los Angeles, ich wohne in Köln oder Düsseldorf, weiß keiner, wo das ist. Insofern: Der Rhein ist superwichtig und man muss ihn in jeder Hinsicht ehrenvoll behandeln.

Was bedeutet das konkret?

Ingenhoven: Man muss aus dem Rhein ein Programm machen und ihn vor allem landschaftlich gut behandeln, indem man sagt: Du bist unser wichtigstes Kulturgut und das entwickeln wir jetzt. Das heißt, man sollte über Tunnel oder sehr schöne Brücken nachdenken. Das oberste Staatsziel muss lauten: nur noch schön, edel und wichtig. Die Themen Promenaden sowie Schutz vor und Umgang mit Flut sind sehr wichtig. Wir brauchen aber vor allem die besten Landschaftsarchitekten der Welt, um sich dieser National-Ikone anzunehmen, ähnlich wie es beispielhaft bei der Golden Gate Bridge oder dem Gotthard-Tunnel geschehen ist. Als der Yosemite-Nationalpark in Kalifornien gegründet wurde, war dies genauso eine Aufgabe für die allerbesten Landschaftsplaner wie der Central Park in New York; also warum nicht auch die Rheintal-Landschaft.

Was müsste denn eine Stadt wie Köln unternehmen, um sich zum Rhein hin gut zu entwickeln?

Ingenhoven: Köln muss die Rheinuferstraße auf vielen Kilometern unter die Erde verlegen, damit die komplette Südstadt an den Rhein rücken kann. Dann müsste die Stadt dafür sorgen, dass das Synthetische, was der Rheinauhafen hat, was gar nicht zu Köln passt, belebt wird. Die Grünanlagen müssen ans Wasser gerückt werden. Und man kann Köln nur dringend raten, sich mit der anderen Seite zu beschäftigen. Da sind einige mediokre Sachen gebaut worden wie das LVR- oder ehemalige Lufthansa-Gebäude. Das hat nichts mit der Silhouette zu tun, die man sich wünscht. Es ist nicht schlimm, am Rhein zu bauen. Es ist schlimm, in welcher Qualität das geschieht. Zudem braucht es einen Schnellzug-Bahnhof auf der anderen Rheinseite, weil der Umweg über den Hauptbahnhof immens viel Zeit kostet. So könnte man auch die Brücke entlasten und stattdessen privilegierteste Fußgänger- und Radfahrübergänge entstehen lassen. Aber das setzt eine infrastrukturelle Kraft voraus, die offenbar so nicht vorhanden ist.

Und Bonn?

Ingenhoven: Bonn ist eine Stadt, die stark geschädigt ist. Positiv durch die Zeit als Hauptstadt, negativ durch den Wegfall eben dieser. Und jetzt muss sie in der Wildnis selbst überleben. Nehmen wir beispielsweise die Rheinaue. Das hat für sich eine super Qualität. Dann gibt es da aber auch die B 9. Da hat man immer das Gefühl, man hat den Verkehr und vor allem die Menge an Verkehr an die falsche Stelle gelegt. Da müsste eine ganz andere Nutzung sein in dem Areal. Auch die Bebauung am Bonner Bogen hätte man sich sparen können. Die Attraktivität, die da entstanden ist, hätte man eher der Innenstadt zuordnen und vor dem Siebengebirge mal nichts machen sollen. Wahrscheinlich war es einfach leichter, dort zu bauen. Dabei sind die Innenstädte von Bad Godesberg und Bonn auch nicht so traumhaft schön, dass man da jetzt gar nichts mehr verbessern könnte.

Inwiefern?

Ingenhoven: Wenn man aus Köln nach Bonn reinfährt, kommt man durch ein eher randstädtisches, halb industrielles Gebiet – solche Situationen wird man nie ändern, wenn der ganze Ehrgeiz von den Menschen, die etwas Schönes bauen wollen, auf die grüne Wiese diffundiert. Sie müssen aber Begehrlichkeiten wecken, damit die Leute das Geld in die Hand nehmen, um in der Stadt zu bauen. Dazu gehört auch der Schutz der Landschaft, damit dort nicht gebaut wird.

Wie sieht denn Ihre Vision vom Rhein konkret aus?

Ingenhoven: Man muss sich mit dem Ufer beschäftigen. Das könnte durch ganz Nordrhein-Westfalen die ökologische Verbindung schlechthin werden. Das ist ein Band der Freude, das kann wirklich wunderschön sein. Ich stelle mir nicht vor, dass da weiter Campingplätze, Industrieanlagen und alte Häfen mit gewerblicher Nutzung liegen. Wir haben im Rheinland von Bonn bis Duisburg 17 Häfen, die man konzentrieren muss – auch wenn es eine Lobby dagegen gibt, sich von einzelnen zu verabschieden. Aber man muss sich doch mal fragen: Im Konzert von dem, was man dort ansiedeln könnte, welchen Stellenwert haben die tatsächlich? Das könnten wunderschöne Wohnstandorte sein, wenn man Teile davon auch noch renaturiert. Das heißt: Wir sollten nicht Landschaft verbauen, sondern müssen Industrie und Gewerbe zur Dichte erziehen. Es kann nicht sein, dass ein Areal am Rhein, das so groß ist wie die Düsseldorfer Innenstadt, mit nur fünf funktionierenden Industrieanlagen bebaut ist. Mir kann keiner erzählen, dass die paar Schiffe ihre Container nicht woanders konzentriert abliefern können, aber das bedeutet natürlich auch, dass man vielleicht ein bis zwei Häfen tatsächlich auf allerneuestes Niveau bringt.

Sie wollen also vor allem Flächen am Rheinufer konvertieren...

Ingenhoven: Ja. Gewerbe zu Wohnen, Dienstleistungen und Bildung. Das sind aber alles Dinge, die durch unterschiedliche Interessen von lokalen Einflussträgern bis hin zu Lärmschutzvorschriften verhindert werden. Angeblich haben wir eine Wirtschaft 4.0, das heißt aber bestimmt nicht, dass wir weiter Stahlhandel in Sichtweite der Königsallee machen müssen. Das mag das individuelle Interesse eines einzelnen Produzenten sein, ist aber gesellschaftlich völlig falsch. Wir laufen Gefahr, dass wir das Bevölkerungswachstum, das sich in Nordrhein-Westfalen zu den Städten am Rhein orientiert, vom Rhein unmittelbar fernhalten und Trabantenstädte bauen, die nur Nachteile haben. Dabei wollen die Menschen an den Rhein. Daher ist es die große Aufgabe, die Landschaft strengstens zu schützen, nur das Beste zu erlauben und die großen Konversionsflächen zu erkennen und umzuwandeln in Gebiete mit dichter Bebauung. In Hamburg hat man das mit der Hafencity gemacht und die Stadt an die Elbe gebracht, indem man den Hafen auf die andere Seite verlegte.

Wie passt denn diese neue Hinwendung zum Rhein mit dem Klimawandel und den damit einhergehenden Extremwetterereignissen zusammen?

Ingenhoven: Da muss man sich entspannen, denn damit können wir umgehen. Wir brauchen genug Überflutungsflächen, auch schon am Oberlauf. Denn wenn wir hier das ganze Wasser abbekommen, was andere drinlassen, haben wir keine Chance. Da braucht es ein übergeordnetes Konzept. Der Rhein kann hier übrigens auch eine Ressource für die Landwirtschaft sein. Ob das nun der Schäfer ist mit seiner Herde oder das berühmte „Urban Farming“. Es gibt hier in Düsseldorf doch eine ganze Reihe Bauern, die im Überschwemmungsbereich des Rheins Landwirtschaft betreiben. Das ist eine sehr stadtnahe und dadurch wertvolle Landwirtschaft, weil sie CO2-arm ist.

Wenn man die gesellschaftlichen Gegebenheiten gegen all das hält, beschreiben Sie eine Utopie, oder?

Ingenhoven: Ohne Plan wird es die Utopie nie geben. Ich glaube, ich bekomme eine Mehrheit in der Bevölkerung dafür, weil es eine sympathische Idee ist. Die Tendenz der vergangenen 20 Jahre muss man einfach etwas fortschreiben. Es wird immer mehr kleine, nur temporär genutzte Wohnungen geben, weil die Menschen flexibel und mobil sind. Das führt dazu, dass sich mehr Menschen an Orten aufhalten und von diesen eine gute Infrastruktur fordern.

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