Interview mit Friedhelm Hillebrand Bonner ist einer der Erfinder der SMS

BONN · Er ist nicht reich geworden, aber er hat Technik-Geschichte geschrieben: In Nieder-holtorf, am Rande Bonns, lebt einer der Erfinder der SMS: Mit Friedhelm Hillebrand (72) sprach Delphine Sachsenröder über die Zukunft der Handy-Botschaften im Zeitalter der Smartphones, ihren Einfluss auf unser Leben und warum auch kurze Texte keinen kulturellen Werteverfall bedeuten müssen.

SMS-Erfinder Friedhelm Hillebrand.

SMS-Erfinder Friedhelm Hillebrand.

Foto: Volker Lannert

Wieviel simsen Sie?
Hillebrand: Nicht viel. Zwei bis drei Nachrichten am Tag. Die SMS ist immer praktisch, wenn man zum Beispiel Leute erreichen will, die in Meetings sitzen.

Die SMS wird am Montag 20 Jahre alt. Wie ist die Kurznachricht entstanden?
Hillebrand: Ich habe das Konzept 1984 entwickelt und in der Bundespost und mit France Télécom diskutiert. Es sah vor, die Nachrichten mit der Nummerntastatur einzugeben und im Display der Mobiltelefone darzustellen. Für die Übertragung haben wir den sogenannten Steuerkanal genutzt, der neben dem Sprachkanal im Mobilfunk zur Verfügung steht. Der Steuerkanal hat geringere Kapazitäten, daher war die Textlänge von Anfang an auf 160 Zeichen begrenzt.

Erschien das nicht zunächst als Einschränkung?
Hillebrand: Ja, so etwas gab es bisher nicht. Kollegen haben mich für die Idee anfangs ausgelacht. 160 Zeichen galten als viel zu wenig. Kein Mensch würde auf der kleinen Telefon-Tastatur umständlich Nachrichten eingeben, hieß es außerdem.

Was konnten Sie den Zweiflern entgegnen?
Hillebrand: Marktforschung gab es damals noch nicht. Ich habe mich einfach hingesetzt, und Beispiele für Anwendungen gesucht. Damals waren Fax-Vordrucke sehr beliebt, in die handschriftliche Nachrichten eingetragen wurden. Die Textlängen habe ich mir genau angeschaut. Es waren selten mehr als drei bis vier Zeilen. Für die privaten Nutzer habe ich mich an Ansichtskarten orientiert. Auch dort enthielten die Texte meist nicht mehr als 160 Zeichen. Es musste also einen Markt für Kurznachrichten geben.

Was waren die technischen Voraussetzungen ?
Hillebrand: Erst 1987 waren die Rahmenbedingungen im Mobilfunk reif für die Entwicklung der SMS. In diesem Jahr einigten sich die europäischen Netzbetreiber auf die Eckwerte des GSM-Standards. Damit war die Zeit für eine detaillierte technische Arbeit an der SMS reif. In einer speziellen Arbeitsgruppe leisteten meine Miterfinder Finn Trosby aus Norwegen sowie Kevin Holley und Ian Harris aus Großbritannien die für den Erfolg so wichtige technische Arbeit.

Was hat die Telekommunikationsanbieter, damals meist noch Staatsfirmen, von der neuen Technik überzeugt?
Hillebrand: Das Risiko war sehr gering. Die Anbieter brauchten lediglich einen Server und die Ausrüstung der Handys war einfach. Die SMS ist und war eine besonders kostengünstige Technik. Das sehe ich als eine Ursache für ihren Erfolg im Massenmarkt.

Auch heute noch gelten die SMS als lukratives Geschäft.
Hillebrand: Das sind sie. Die Anbieter haben die Preise anfangs so gewählt, dass eine SMS billiger war als der günstigste Anruf oder Brief. Dadurch haben gerade junge Leute die SMS für sich entdeckt. Auch heute noch bieten die SMS den Telekommunikationsunternehmen gute Gewinnspannen und die meisten Kunden halten die Preise gleichzeitig für fair.

Welche Rolle spielte die Politik bei der Enstehung der SMS?
Hillebrand: Ohne das Ende des Kalten Krieges hätte die SMS in Europa nie die heutige Verbreitung erreicht. Der größte Teil des heute für den Mobilfunk genutzten Frequenzbandes war damals noch von deutschen und ausländischen Streitkräften belegt. Die weite Verbreitung des Mobiltelefons und der SMS in Europa sind auch eine Friedensdividende.

Können SMS gegen das Internet bestehen?
Hillebrand: Vor dem Siegeszug der Smartphones auf jeden Fall. SMS erreichen ihren Empfänger fast jederzeit persönlich und mobil. Emails konnte lange Zeit nur derjenige lesen, der seinen Computer angeschaltet hatte und auch unterwegs über einen Internetzugang verfügte. Durch die Smartphones und ihre eigenen Datendienste ist heute eine ernsthafte Konkurrenz entstanden.

Werden SMS wie bereits Telex, Fax oder Bildschirmtext weitgehend überflüssig?
Hillebrand: Im Gegenteil. Es gibt für die SMS neue Einsatzmöglichkeiten. Bald werden wohl mehr Maschinen als Menschen die Kurznachrichten verschicken. Bald verschicken Autos automatisch bei Unfällen eine SMS mit den Standort-Koordinaten an den Notruf, Windkraftanlagen sollen künftig bei hoher Stromproduktion per Kurznachricht Nachspeicherheizungen zum Aufladen auffordern - eine Folge der Energiewende.

SMS haben unsere Kommunikation verändert. Die Verkürzung der Inhalte wird oft kritisiert. Besorgt Sie das?
Hillebrand: Wenn ich höre, dass sogar Beziehungen per SMS beendet werden, bin ich entsetzt. Aber die Kulturkritik an der SMS kann ich nicht teilen. Kurze Texte sind nicht per se schlecht. Sie zwingen den Verfasser, seine Gedanken zu ordnen, wie bei Aphorismen oder den japanischen Kurzgedichten, den Haiku. Auch die bei Jugendlichen in SMS beliebten Abkürzungen sind für mich kein Zeichen für kulturellen Niedergang. Das ist einfach eine Möglichkeit, sich von der älteren Generation abzugrenzen, die mittlerweile auch simsen kann, aber diese Codes oft nicht versteht.

Die SMS hatte einige Nachfolger. Der Bilderdienst MMS gilt als wenig erfolgreich.
Hillebrand: Die SMS ist ein Beispiel dafür, dass man mit Vereinfachung großen Erfolg haben kann. MMS ist zu kompliziert. Bei seiner Einführung 2004 war die Telekommunikationsbranche bereits privatisiert. Es ist deutlich schwieriger, wenn sich die vielen Konzerne auf einheitliche Standards einigen sollen als eine Reihe von Staatsmonopolisten wie damals bei der SMS.

Warum haben Sie damals kein Patent auf Ihre Erfindung angemeldet?
Hillebrand: Wir haben es damals bei der Bundespost einfach als Dienstpflicht angesehen, den Bürgern eine möglichst gute Kommunikationstechnik zur Verfügung zu stellen. Um persönliche Gewinne aus Patenten ging es uns nicht. Aber mir war bei dem damals aufkommenden Wettbewerb klar, dass die Bundespost die Früchte nicht alleine ernten würde.

Zur Person
Friedhelm Hillebrand bewahrt seine Museumsstücke in Niederholtorf in der Schublade auf. Das Nokia 2110 etwa, das 1995 als technische Neuheit für damals 555 Mark angepriesen wurde, mit "sogar 14 Stunden Akkulaufzeit". Daneben wirkt das Autotelefon Philips Porty, genannt "Schleppi", in Schuhkarton-Größe wie ein Fossil.

Hillebrand hat die Entwicklung des digitalen Mobilfunks von Anfang an mitgestaltet. Bei der Deutschen Bundespost war der studierte Nachrichtentechniker verantwortlich für den Mobilfunkstandard GSM und später für die Entwicklung des D1-Netzes. Der gebürtige Sauerländer war unter anderem Direktor des Weltverbands der Netzbetreiber. Seit seiner Pensionierung 2002 führt er ein eigenes Beratungsunternehmen.

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