Keupstraße "Wo stand das Fahrrad?"

Köln · Am 9. Juni 2004 verwüstete eine Bombe den Kölner Friseursalon von Özcan Yildirim. Genau zehn Jahre später besucht ihn der Bundespräsident. Und will alles ganz genau wissen.

Keupstraße: "Wo stand das Fahrrad?"
Foto: dpa

Sichtlich nervös geht Özcan Yildirim (45) vor seinem Friseursalon auf und ab. Zu allem Überfluss fragt jemand, ob er aufgeregt sei. Yildirim spricht nicht so gut Deutsch, aber er antwortet auf seine Art: Er fasst sich mit der einen Hand ans Herz und pocht ganz schnell gegen den Brustkorb. Dabei lächelt er. Özcan Yildirim, alteingesessener Friseur in der Kölner Keupstraße, erwartet an diesem Pfingstmontag einen besonderen Gast.

"Er kommt! Er kommt!", tönt es. Durch die offene Tür kann man sehen, dass eine Gruppe von Menschen auf das Haus zusteuert, flankiert von Polizisten und großen Männern in dunklen Anzügen. Im nächsten Moment steht Joachim Gauck im Salon, "Hallo, da bin ich!", sagt er. Yildirim antwortet auf Türkisch, eine Dolmetscherin übersetzt ihn: "Wir freuen uns so sehr, dass Sie da sind."

Ein paar Bilder für die Fotografen, dann will der Bundespräsident es genau wissen: "Wo stand das Fahrrad?" Das Fahrrad mit der Nagelbombe, die an diesem Tag vor genau zehn Jahren Yildirims Salon verwüstete.

[kein Linktext vorhanden]Es war 15.56 Uhr. Yildirim erzählt, dass sein Bruder dort unter dem Bild gestanden habe, als es passiert sei. Glücklicherweise im hinteren Teil des Ladenlokals. Damit sich die Leute eine Vorstellung vom Ausmaß der Verwüstung machen können, hat Yildirim große Fotografien vom damaligen Zustand des Salons in die beiden Schaufenster gehängt. "Das ist ganz gut für die Passanten", meint Gauck.

"Birlikte" in der Keupstraße
20 Bilder

"Birlikte" in der Keupstraße

20 Bilder

Dann will er wissen: "Haben Sie in der Familie diskutiert, ob Sie wegziehen oder bleiben?" - Ja, sagt Yildirim, "wir haben in der Familie sogar Streit darüber gehabt". Vor allem seine Frau habe sehr unter der Situation gelitten. Sieben Jahre glaubte die Kölner Polizei nicht an einen terroristischen Hintergrund, tippte stattdessen auf Schutzgelderpressung oder eine Familienfehde. Immer wieder verhörte sie die Anwohner, auch Yildirim. Erst Ende 2011 stellte sich heraus, dass die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt wohl auch für diesen Anschlag verantwortlich waren.

Inzwischen sei das überwunden, sagt Yildirim. Er und seine Familie hätten in Köln in den vergangenen Jahren ungeheuer viel Unterstützung erfahren: "Wir haben gesehen: So viele Menschen stehen uns bei, so viele Deutsche!" Krönender Abschluss sei das dreitägige Fest an diesem Pfingstwochenende unter dem Motto "Birlikte - Zusammenstehen". Gauck sagt: "Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie nicht weggegangen sind. Dass Sie gesagt haben: Das ist unsere Straße." Özcan Yildirim wirkt erleichtert. Die Spannung ist von ihm abgefallen.

Als Gauck zwei Stunden später die Abschlusskundgebung vor mehreren Zehntausend Zuschauern eröffnet, macht auch er einen gelösten Eindruck. Er komme gerade aus der Keupstraße, erzählt er. "Ich war gefasst auf eine Begegnung mit Schmerz und Trauer, vielleicht auch mit Frustration. Und ich gehe raus aus der Straße: total begeistert von dem Geist, der mir dort begegnet ist. Von diesem 'Ja, wir schaffen das miteinander, ja, das ist unsere Heimat'."

Özcan Yildirim wünscht sich, dass jetzt jedes Jahr ein solches Fest stattfindet. Joachim Gauck gibt zu bedenken, dass es ja doch ein unheimlicher Organisationsaufwand sei. Klar, sagt Yildirim. Er meine ja auch nur ein kleines Fest, ein Straßenfest in der Keupstraße. Damit auch in Zukunft alle weiter zusammenstehen.

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