Kritik an Neubau-Projekt Tausendfüßler in Bonn soll wesentlich breiter werden

Bonn · 40 statt 20 Meter: Der Tausendfüßler-Neubau ist doppelt so breit geplant wie bisher. Kritiker halten das in Zeiten des Klimawandels für falsch. Auch die Kostenschätzungen sind gestiegen.

 Der Tausendfüßler wird frühestens ab Ende 2021 mit sechs Spuren ausgebaut.

Der Tausendfüßler wird frühestens ab Ende 2021 mit sechs Spuren ausgebaut.

Foto: Volker Lannert

Der geplante Neubau des Tausendfüßlers hat eine formale Hürde genommen. Der Landesbetrieb Straßen NRW als Bauherr hat alle Unterlagen an die zuständige Aufsichtsbehörde übergeben: Herr des Verfahrens ist nun die Kölner Bezirksregierung, wie Friederike Schaffrath vom Landesbetrieb mitteilte.

Während die Corona-Krise das öffentliche Leben noch einschränkt, laufen also die Vorbereitungen für die Offenlage der Planungen des Ausbaus von derzeit vier auf dann sechs Spuren mit jeweils einer Standspur je Richtung. Wann sie beginnen wird, steht nach Aussagen der Bezirksregierung noch nicht fest. Die Planfeststellung ist ein Verwaltungsakt, in dessen Zuge betroffene Bürger Zweifel äußern dürfen. Die Folge können Klagen sein.

Der Neubau soll wesentlich breiter werden als bisher: statt derzeit 20 werden es nach dem Neubau 40 Meter sein. Die Kostenschätzungen liegen mittlerweile bei knapp 300 Millionen Euro. Etwas mehr als 200 Millionen Euro waren es einst, als das Großbauprojekt, das ab Ende 2021 in rund sechs Jahren Bauzeit verwirklicht werden soll, die politischen Gremien der Stadt beschäftigte.

Die Planungen schaffen Probleme: Oberbürgermeister Ashok Sridharan versucht derzeit, einen Konflikt zwischen dem nahe dem Tausendfüßler ansässigen Tierheim und einem benachbarten Kleingartenverein zu lösen. Das Tierheim müsste mit Baubeginn auf genutzte Grundstücke verzichten. Flächen der Kleingärtner kämen als Ausgleich infrage, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.

Nach Aussagen von Peter Terlau vom Kleingärtnerverein Flora scheint eine Lösung greifbar. „Wir haben uns mit dem OB verständigt, dass wir für zwölf bis 15 Monate Flächen an das Tierheim abtreten, die wir dann anschließend wieder  nutzen können.“ Auf die ursprüngliche Forderung nach Ersatzflächen habe der Verein verzichtet.

Größe des Projekts sei nicht „enkelgerecht“

Deutliche Kritik äußert die Bürgerinitiative „Moratorium Planungen A 565 und Tausendfüßler“, die Irmgard Henseler und Raimund Gerber ins Leben gerufen haben. Beide fordern einen Aufschub des Großprojekts, vor allem um die Größe des Vorhabens zu hinterfragen. „Was ihr da macht, ist nicht enkelgerecht”, hatte Henseler vor einigen Monaten vor dem Stadthaus vor einigen Dutzend Gleichgesinnten gerufen. Drinnen im Ratssaal stand das Thema einmal mehr auf der Tagesordnung.

Gerber, von Beruf Ingenieur, hat erhebliche Bedenken wegen der Ausmaße. Die Verdopplung der Fahrbahnbreite, das Fehlen eines Radwegs, die 15 Jahre alte Planung, der Stadtratsbeschluss zum Klimanotstand: All das will in Gerbers Kopf nicht zusammenpassen. „Die Meteorologen haben an den heißesten Tagen in Bonn mehr als 40 Grad Celsius gemessen, das wird noch schlimmer.”

Die teils zwölf Meter hohen Lärmschutzmauern verhinderten das Zirkulieren von kühlender Luft in den heißen Sommermonaten, meint Gerber. In ähnlicher Weise hatte auch der Bonner Wetterforscher Karsten Brandt bei öffentlichen Vorträgen Bedenken geäußert. Gerber hat auch Zweifel, dass die hohen Mauern den Anwohnern tatsächlich Linderung des Autolärms verschaffen werden angesichts der erwarteten Zunahme des Verkehrs. Auch das Weichen eines Teils des Lenné-Parks nahe dem Endenicher Ei für ein Autobahnabwasserbecken stößt Gerber bitter auf. Jost Brökelmann, Vorsitzender der Lenné-Gesellschaft, fordert die Stadt möge das „kulturelle Erbe“, den Lenné-Park, erhalten und zum Bürgerpark ausbauen.

Schaffrath zufolge fahren heute rund 93 000 Autos täglich über den für 70 000 Autos ausgelegten Autobahnabschnitt. Für das Jahr 2030 sind 102 000 Autos täglich prognostiziert, für 115 000 Autos wäre der Neubau ausgelegt.

Spielraum für Umfahrungen in Bonn geringer als in Köln

Als die Stadt vor Corona zu nun nicht mehr drohenden Fahrverboten einlud, kam man auch auf den Tausendfüßler-Neubau zu sprechen. Oberbürgermeister Sridharan sagte: „Wenn der Tausendfüßler nicht kommt, werden die Klimaprobleme in unserer Stadt viel größer werden.” Er meinte die Umfahrungen bei Staus mitten durch die Stadt.

1960 wurde der erste Abschnitt des Bauwerks eingeweiht. Sinn und Zweck war es, den Verkehr von den Straßen der Stadt auf die Autobahn zu verlagern. Schaffrath vom Landesbetrieb betont, dass der Spielraum für Umfahrungen in Bonn wesentlich geringer sei als in der Millionenstadt Köln. Eigentlich gebe es nur die Möglichkeit, über die A 565 zu fahren oder eben durch die Stadt. Auf diesen Umstand werden Befürworter der Verbreiterung nicht müde hinzuweisen. Zu ihnen gehören die Industrie- und Handelskammer und die Kreishandwerkerschaft.

Für Diskussionen in Bonn hatte die Absage von NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst gesorgt, einen Zweirichtungs-Fahrradweg entlang des Tausendfüßlers mitzubauen. Sridharan setzte sich nach einem Mehrheitsbeschluss der Politik in einem persönlichen Gespräch für den Bau ein, biss in Düsseldorf aber offenkundig auf Granit.

Wüst argumentierte zuvorderst, der Beginn des Neubaus dürfe nicht gefährdet werden, der Radweg sei außerdem nicht wirtschaftlich genug. Er sicherte finanzielle Unterstützung bei einer alternativen Ost-West-Radroute über die Friedrich-Ebert-Brücke als Anbindung nach Siegburg einerseits und Meckenheim andererseits zu. Die Grünen intervenierten bislang vergebens (auch im Düsseldorfer Landtag, wo sie in der Opposition sind). Auch die Bonner Linke fordern weiterhin den Radweg, ebenso wie die örtlichen Umwelt- und Verkehrsverbände ADFC und VCD.

Die Betriebsgenehmigung des Tausendfüßlers läuft 2022 offiziell aus. Sollten bis zu diesem Zeitpunkt die Bauarbeiten nicht begonnen haben, müssten regelmäßige Prüfungen der Bausubstanz erfolgen. „Je nach Ergebnis wären Fahrverbote für Lastwagen oder Tempolimits notwendig”, sagt Schaffrath. Der Umbau des Potsdamer Platzes (Verteilerkreis am Ende der A 555) zum Turbokreisel mit zwei statt einer Einfahrtspur soll schon bald erfolgen, um den ab Ende 2021 geplanten Tausendfüßler-Neubau mit einem notwendigen Wegfall des Zubringers Tannenbusch zu kompensieren.

Nach einem politischen Beschluss wird auch die Stadt noch eine Bürgerinformationsveranstaltung zum Tausendfüßler organisieren. Eine Termin steht noch nicht fest.

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