Hohe Hürden bei der Umschulung

Bonn · Die Chefs und die Beiräte der Jobcenter Rhein-Sieg und Bonn sprechen sich für eine Gesetzesänderung aus, um mehr Menschen die Chance zu geben, eine Ausbildung zu machen.

 Sie hat es sich zugetraut: Jennifer S. aus Bonn macht eine Umschulung zur Autolackiererin in Siegburg.

Sie hat es sich zugetraut: Jennifer S. aus Bonn macht eine Umschulung zur Autolackiererin in Siegburg.

Foto: Holger Arndt

Viele Hartz-IV-Bezieher ohne Ausbildung

Mehr als 35 000 Menschen, die von den Jobcentern Rhein-Sieg und Bonn betreut werden, haben keinen Berufsabschluss. Darunter sind 28 000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte über 25 Jahre. Obwohl Menschen ohne Berufsabschluss sowohl von der Agentur für Arbeit als auch von den beiden Jobcentern durch Qualifizierungen und Umschulungsmaßnahmen gefördert werden, schaffen nur wenige Teilnehmer einen anerkannten Berufsabschluss.

Gerade einmal knapp ein Prozent der Hartz-IV-Empfänger aus der Region, die keine Berufsausbildung haben, absolvieren eine Umschulung erfolgreich. Für die Chefs der Jobcenter Rhein-Sieg und Bonn, Ralf Holtkötter und Günter Schmidt-Klag, eine äußerst unbefriedigende Situation. Oftmals werden Umschulungen erst gar nicht angetreten oder häufig vorzeitig abgebrochen. Umschüler fallen außerdem nach Angaben der der Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg fast doppelt so oft durch die Prüfung wie die anderen Auszubildenden.

Als Hauptgrund für die hohe Abbruchquote der Umschüler sehen Holtkötter und Schmidt-Klag die verkürzte Ausbildungszeit, sowohl im praktischen als auch schulischen Teil einer Umschulung. Während die Ausbildung regulär drei Jahre dauert, müssen Umschüler die gleichen Inhalte in zwei Jahren lernen. Mit diesen verschärften Rahmenbedingungen seien viele Teilnehmer trotz hoher Motivation einfach überfordert.

Eine Berufsausbildung erhöht die Chancen auf einen Arbeitsplatz deutlich. In der Region Bonn/Rhein-Sieg werden vor allem Fachkräfte gesucht. Lediglich zehn Prozent der Stellen entfallen auf Helfer. Personen ohne Berufsausbildung haben deshalb immer weniger Möglichkeiten, dauerhaft eine Beschäftigung zu finden.

Wenig Jobs für Helfer

Denn vor allem in der Industrie finden Helfer eine Tätigkeit. Allerdings ist Bonn einer der größten Dienstleistungsstandorte in Deutschland. 91,9 Prozent der Arbeitnehmer arbeiten im Dienstleistungssektor. Einen ähnlich hohen Dienstleistungsanteil gibt es bundesweit nur noch in Potsdam und Frankfurt am Main. Und im Dienstleistungssektor gbit es wenig Bedarf für ungelernte Kräfte.

Höltkötter und Schmidt-Klag haben mit den Beiräten ihrer Jobcenter überlegt, welche gesetzlichen Änderungen notwendig sind, um mehr Hartz-IV-Bezieher zu einer Ausbildung zu verhelfen. Die Beiräte, die mit Vertretern von Arbeitgeberseite, Wohlfahrtsverbänden und Politik besetzt sind, halten mehr individuelle Förderung für notwendig. Wichtig sei auch die Anpassung der Umschulungszeit an die Regelausbildungszeit.

Keine Kostenübernahme

Ein weiterer Grund, warum Interessenten sich gegen eine Umschulung entscheiden, sei, dass zusätzliche Kosten der Teilnehmer, die auch während einer Maßnahme anfallen, nicht übernommen werden können. Über den Regelsatz der Grundsicherung hinaus könnten bestenfalls Fahrtkosten erstattet werden. Eventuelle Nebenbeschäftigungen müssten Teilnehmer oft aufgeben, was den finanziellen Druck während einer Umschulung zusätzlich erhöhe. Hier fordern die Beiräte eine zusätzliche, finanzielle Förderung während der Umschulung. Darüber hinaus würden mit einer zusätzlichen Vergütung weitere Anreize geschaffen. Die Beiräte werben dafür, die Gesetze für Umschulungsmaßnahmen, die im Sozialgesetzbuch (SGB) unter Förderung beruflicher Weiterbildung laufen, stärker auf die Bedürfnisse der Umschüler auszurichten.

Jürgen Hindenberg, Geschäftsführer Berufsbildung und Fachkräftesicherung der Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg, geht davon aus, dass die notwenige Gesetzesänderung gar nicht so kompliziert sei. Nur ein Absatz müsse aus dem Gesetz gestrichen werden.

Um die Gesetzesänderungen anzustoßen, haben die Beiräte Bundestagsabgeordnete aus der Region eingeladen und von ihnen Rückendeckung für ihre Pläne bekommen. „Es bestand eine parteiübergreifende Einigkeit hinsichtlich der Problemanalyse und dass das Problem durch den Gesetzgeber gelöst werden müsse“, sagte Bundestagsabgeordneter Alexander Neu (Die Linke).

„Die Vorschläge des Jobcenters Rhein-Sieg sind durchdacht und sinnvoll, um bestehende Hürden für arbeitslose Menschen abzubauen, die eine Berufsausbildung nachholen wollen“, sagte Sebastian Hartmann (SPD), Vorsitzender der SPD Nordrhein-Westfalen und Bundestagsabgeordneter. Er will sich für eine entsprechende Änderung des Sozialgesetzbuches einsetzen. Auch ein Pilotprojekt zur Prüfung einer Änderung könne er sich in der Region Bonn/Rhein-Sieg gut vorstellen.

Für die CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker haben die Beispiele aus der Praxis des Jobcenters eines gezeigt: „Wenn Menschen erst im zweiten Anlauf und in späteren Jahren eine Berufsausbildung absolvieren können, brauchen sie oft längere und flexiblere Ausbildungszeiten und eine finanzielle Unterstützung, die ihrer besonderen Lebenssituation Rechnung trägt.“ Davon könnten zum Beispiel junge Frauen profitieren, die schon Kinder haben und deshalb ihre Berufsausbildung zurückstellen mussten.

Auch die FDP-Bundesstagsabgeordnete Nicole Westig will die Forderung nach der Einführung einer Förderfähigkeit auch für dreijährige, das heißt nicht verkürzte, Umschulungen unterstützen. Sie könne sich für die betroffenen Personen eine ähnliche Regelung des Mehrbedarfs, wie sie für die Grundsicherung im Alter und voll erwerbsgeminderte Menschen gilt, vorstellen.

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